Tourdatum: 28-29. Juli, 2017
Stützpunkt: Rüsselsheimer Hütte, 2.323m
Kartenmaterial: Alpenvereinskarte 30/5, Ötztaler Alpen und Geigenkamm, 1:25000
Die Fotodokumentation des Mainzerhöhenwegs beginnt mit einem Selfie um 5.45 Uhr morgens im Waschraum der Rüsselsheimer Hütte. Es sieht nicht besonders ermutigend aus (und fließt daher nicht in den Bericht ein 🙂 ). Aber auch nicht so schlecht wie es nach einer weißen Nacht, in der ich nicht mal eine Stunde geschlafen habe, zu erwarten wäre. Warum, weiß ich nicht, immerhin sind die Kojen im Schlaflager dieser Hütte sehr bequem.
Eine weitere Sorge lastet außerdem auf meinen Schultern: Werde ich überhaupt imstande sein, nach vier Wochen starker Rückenschmerzen, die bis in den Arm und den Bein gestrahlt haben, mit so einem schweren Rucksack – wir wollen ja oben biwakieren – ans Ziel zu kommen? Beim Schuhanziehen sage ich deshalb etwas mürrisch zu Matthias, wenn wir es bis zum Weissmaurachsee nicht in der angegebenen Zeit schaffen (45 Min. von der Hütte), drehen wir um. Aber wir schaffen es sogar in 35 Min, und so fasse ich Mut die nächste Etappe ins Auge zu nehmen: die Strecke bis zum Weissmaurachjoch (2.959m). Zwar steht in allen Beschreibungen, dass der Mainzer Höhenweg erst danach sein “wahres Gesicht” zeigt. Aber für mich ist eine Sache klar: einmal am Weissmaurachjoch hat man einen Großteil der Höhenmeter (636 Hm), die auf der Strecke bis zum Rheinland-Pfalz-Biwak absolviert werden müssen, hinter sich. Und die sind dazu noch sehr steil, wenn auch technisch unproblematisch. Welches Gesicht auch immer der Mainzer Höhenweg danach zeigen soll, wird er für mich bestimmt nicht mehr so anstregend sein. Und da ich in meinem Körper seit nunmehr 39 Jahren lebe und meine Schwachstellen kenne, tritt meine Einschätzung auch zu.
Der Mainzer Höhenweg ist eine tolle Tour für Rekordsammler. Er läuft über drei Gletscher und fünf Dreitausender. Wie sehr ich die karge Welt der Ötztaler Alpen auch mag und wie wunderschön ich diese Tour auch fand, muss ich sagen: Die fünf Dreitausender habe ich – bis auf den Wassertalkogel (3.247m) mit der Biwakschachtel – gar nicht wahrgenommen. Die Gletscher waren in einem sehr schlechten Zustand, der letzte sogar schwierig als solcher zu erkennen so sehr war er von Schutt, Geröll und Steinen bedeckt. Ein Seil ist nicht nötig. Pickel war zu dieser Jahreszeit auch nicht nötig, Steigeisen – je nach Verhältnissen. Wir hatten sie dabei und am südlichen Puitkogelferner auch angezogen, aber es hätte auch ohne funktioniert. Der südliche Puitkogelferner soll außerdem laut einem älteren Bericht aus dem Jahr 2003 spaltenreich sein (das dazu gehörige Bild bestätigte das). Aber entweder läuft der Weg heutzutage oberhalb der Spalten, oder diese sind nach 14 Jahren weg, denn ich erinnere mich nicht daran große Spalten gesehen zu haben. Matthias auch nicht.
Ebenfalls lässt sich über den Mainzer Hohenweg lesen, dass die Wegfindung nicht so einfach sei, weil die Markierungen spärlich seien. Ich hatte mir deshalb den Kartenausschnitt so viel angeschaut bis ich ihn vor den geschlossenen Augen sehen konnte. Matthias hatte dazu ein GPS-Track in petto. Nun, vielleicht war die Wegfindung bis vor Kurzem tatsächlich nicht einfach, aber wie man auf den Bildern in diesem Bericht sehen kann, wurden die Markierungen – vielleicht im Züge einer Wegsanierung – ad absurdum geführt, so dass man wirklich komplett geistesabwesend sein müsste um sich zu verlaufen. Auch wurden überall Ketten und Trittbügel angebracht, als würde man beabsichtigen wirklich jeden auch so unerfahrenen Wanderer in die Berge zu locken. Auf der ersten Strecke bis zum Biwak waren, meiner Empfindung nach, nur an zwei Stellen die angebrachten Ketten auch wirklich hilfreich. Die erste war kurz nach dem Weissmaurachjoch beim Abstieg in den Grubigkarle: eine ziemlich glatte und luftige Wand, tritt- und griffarm, ohne Ketten vermutlich eine II. Die zweite war eine erdige, rutschige Rinne beim Abstieg in den südlichen Puitkogelferner. Alles andere bis zum Biwak fand ich unnötig.
Wehe aber dem, der den Mainzer Höhenweg – bei allen Annehmlichkeiten in Form von üppigen Markierungen und Verkabelungen – auf die leichte Schulter nimmt. Denn, macht man sie an einem Tag ist sie sehr lang (10 Std mindestens, eher länger). Durch den unaufhörlichen auf und ab, versetzt immer wieder mit einfachen Kletterstellen ab dem Biwak sogar ausschließlich am Grat für mindestens vier weitere Stunden ist sie auch sehr anstrengend. Macht man sie in zwei Tagen und biwakiert auf dem Wassertalkogel ist der Rücksack sehr schwer, was ebenfalls schnell die Energieressourcen frisst. Es gibt auch keine Wasserquelle unterwegs. Wer im Hochsommer biwakieren will muss genug Wasser bei sich haben. Wie es jemandem geht, der dieser Tour nicht gewachsen ist, konnten wir “live” beobachten. Einer der wenigen Bergsteiger, die an diesem Tag den Mainzer Höhenweg begangen haben, war bereits am Weissmaurachjoch erschöpft und gereizt, so dass wir uns gefragt haben, warum sagt er seinem Kameraden nicht, er will umdrehen. Die Tour schien ihn an seine äußerten physischen und psychischen zu bringen, und das noch vor dem Biwak! Er fand Trost darin, dass ich genauso langsam war wie er, allerdings machte ich immer wieder Fotopausen und fühlte mich trotz Schlafmangel recht gut, während er aus dem letzten Loch pfiff. Indessen zeigte sich sein Kamerad sehr flott und geduldig. Wie wir am nächsten Tag auf der Braunschweiger Hütte erfuhren, waren die beiden erst um 21.00 Uhr dort eingetroffen, als das angekündigte Gewitter schon seit drei Stunden im vollen Gange war. Es war eigentlich die typische Konstellation, in der einer sagt, “komm, das schaffst du, es ist gar nicht so schwer” und der andere lässt sich darauf ein, ohne sich im geringsten über das was ihm bevorsteht zu informieren. Die Fragen, die dieser Mann auf der Strecke bis zum Biwak stellte, zeigten immer wieder wie schrecklich unwissend und unvorbereitet er war.
Wie dem auch sei… gegen 13.30 Uhr haben wir den Rheinland-Pfalz-Biwak erreicht, und nachdem sich alle anderen verabschiedet haben um vor dem Gewitter die Braunschweiger Hütte zu erreichen, konnten wir wunderbare Einsamkeit und Stille für fast vier Stunden genießen. Gegen 17 Uhr trafen zwei Bergsteiger, die von der Braunschweiger Hütte kamen. Sie waren dem strapazierten Bergsteiger begegnet und fanden von ihm heraus, dass ihm auch noch der Wasservorrat ausgegangen war. Auch sie hatten sich Sorgen um ihn gemacht und baten ihm vom eigenen Wasser an, was er aber ablehnte. Indessen genossen wir unseren Nachmittag auf dem Wassertalkogel, getrübt nur durch die Wetterprognose, die der DAV um 14.30 Uhr aktualisiert hatte. Dieses hatte sich deutlich verschlechtert, für den kommenden Tag waren auf einmal unbeständiges Wetter mit Regenschauer schon in der Frühe und Gewitter ab Mittag vorhergesagt. Wir haben uns kurz überlegt ebenfalls weiter zu Braunschweiger Hütte zu gehen, worauf ich keine Lust hatte. Ich kam jedoch auf die Idee, zuerst den Hüttenwirt auf der Rüsselsheimer Hütte anzurufen und mit ihm darüber zu beraten. Er meinte, wir können ruhig bleiben, denn das Wetter, wenn überhaupt, wird erst im Laufe des Nachmittags zu Gewitter neigen. Wie es sich herausstellte, hatte er Recht, aber der DAV hatte auch recht. Mit anderen Worten: am Sonntag um 6.00 AM war recht trüb, nebelig und feucht, und es nieselte immer wieder leicht aus den tiefen Wolken. Es blieb so bis ca 9.00 Uhr, dann wurde es immer heller, schließlich knallte die Sonne als wie die Braunschweiger Hütte um 11.00 Uhr erreichten und das Wetter blieb dann für den ganzen Tag sehr schön.
Stichwort Braunschweiger Hütte: diese soll jeder vermeiden, dem Einsamkeit und Stille am Herzen liegen. Denn es herrscht dort wegen des E5-Wanderwegs einen regen Betrieb, wie auf einem Bahnhof. Ich war froh dort nicht übernachten zu müssen, es reichte, dass das Gewitter mir jedwede Aufnahme am Biwak von Sonnenuntergang und -aufgang ruiniert hat, dafür aber mir die Möglichkeit gegeben zum ersten Mal seit… meiner Kindheit vielleicht?, dem Regen stundenlang zu lauschen und sonst nichts anders machen zu müssen.
Fazit: eine wunderschöne, konditionsstarke Bergtour. Die größten technischen Schwierigkeiten sowie die meisten Höhenmeter im Aufstieg hat man in der ersten Hälfte (5-6 Stunden), also bis zum Biwak. Die zweite Hälfte (4-5 Stunden bis zur Braunschweiger Hütte) wird bis zum Franz-Auer-Steig ausschließlich am Grat begangen und besteht aus leichter Kletterei und Gehpassagen auf Blockfelsen. Stabiles Wetter ist unabdingbar, zu gefährlich ansonsten das Begehen an dem exponierten Grat mit seinen vielen Drahtseilen. Der Biwak ist gut ausgestattet, aber am besten bringt man alles mit, vor allem Wasser.